„Neue Banater Zeitung“ vom 04.01.1970 - Glogowatz
„Neue Banater Zeitung“ vom 04.01.1970 - Glogowatz
„Neue Banater Zeitung“ vom 04.01.1970 - Glogowatz
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Ich WINSCH, ich WINSCH<br />
un waas net was<br />
<strong>Glogowatz</strong>er schwäbische Neujahrsbräuche<br />
Von Hans Gehl und Franz Pretz<br />
Wenn es stimmt, dass das ganze Jahr so sein wird, wie der erste Tag, so wird es ein<br />
langes und arbeitsreiches Jahr sein, denn der Neujahrstag beginnt in <strong>Glogowatz</strong> mit<br />
dem zwölften Glockenschlage und ´s Winsche dauert bis tief in die nächste Nacht.<br />
Manchmal wird es auch noch am zweiten Tag im neuen Jahr fortgesetzt.<br />
Musik geht winsche<br />
Schon um Mitternacht begrüsst die Blasmusikkapelle das Neue Jahr mit dem<br />
althergebrachten, einfachen aber ehrlich empfundenen und gut gemeinten Lied:<br />
„Ein glückseliges Neues Jahr<br />
wünschen wir aus Herzensgrund<br />
und derer noch viel unzählbare,<br />
soviel man nur wünschen kann!“<br />
Mit diesem schönen Wunschlied machen die Musikanten die Runde zu allen<br />
Vertretern des öffentlichen Dorflebens und werden überall gern empfangen und mit<br />
einem guten Tropfen bewirtet. Der Kapellmeister sagt manchmal auch noch den<br />
folgenden Neujahrswunsch:<br />
„Mir winschen enk e glickliches Johr,<br />
e bessres wie des aldi wor.<br />
Vun Herze winsch mer enk des an,<br />
so viel wie dass mer winschen kann.<br />
Mir winschen enk viel Glick un Sunneschei<br />
Un aa Keller voll mit Wei !“<br />
Die Stärkung erweist sich als notwendig, denn gewöhnlich beisst der Frost ganz<br />
tüchtig, und es dauert noch lange, bis sie an diesem Tag zur Ruhe kommen.<br />
Recht früh beginnt der erste Tag im neuen Jahr auch für die Familienväter – falls<br />
sie sich in der Jahreswendenacht überhaupt zur Ruhe gelegt haben. Ihnen kommt<br />
die Ehrenpflicht zu, allen Nachbarn, Verwandten und bekannten viel Glück im neuen<br />
Jahr zu wünschen. Frauen dürfen hier nicht den Anfang machen, die könnten das<br />
Glück vertreiben. Während die Männer sich auf den Weg machen – auf ihrer Liste<br />
stehen oft 50-70 Adressen, von denen ja keine ausgelassen werden darf – schauen<br />
wir mal, was in den Wohnzimmern geschieht.<br />
Die meisten Kleinen sind um Mitternacht <strong>vom</strong> Tisch „ins neii Johr ghopft“ – mit<br />
dem rechten Fuss vor, denn das gehört auch zum Glückhaben – und schlafen, bis<br />
auch an sie die Reihe fürs „Winschegehn“ kommt.<br />
Der Hahn auf dem Mist<br />
Manche Erwachsene nehmen in der geheimnisumwitterten Nacht der<br />
Jahreswende die einmalige Gelegenheit wahr um wertvollen Aufschluss über die<br />
Zukunft zu erlangen. So haben wir mal die originelle Zwiebelprobe erlebt. Der Vedder<br />
Franz legt zwölf Zwiebelschalen auf zwölf Weinfässer (im „Notfall“ dürfen sie auch<br />
auf einem Fass liegen) und streute Salz darauf. Die Zwiebelschalen versinnbildlichen<br />
die zwölf Monate des Jahres. Je nachdem wieviel Feuchtigkeit die Zwiebelschalen<br />
„anziehen“ wird es in dem betreffenden Monat mehr oder weniger regnen. (Manche
Leute nennen diese geheimnisvolle Prozedur „´s Kullennrmache“). Wenn dann später<br />
die Rechnung auch nicht ganz aufgeht, bleibt immer noch der Trost, dass auch die<br />
<strong>vom</strong> Meteorologischen Institut manchmal danebenhauen. Nicht umsonst heisst es:<br />
Kräht der Hahn auf dem Mist,<br />
ändert sich´s Wetter oder´s bleibt wie es ist.<br />
Doch zurück zur Zukunft. Einmal hatte der Vedder Franz eine schöne Kuh gekauft.<br />
Wie er sie nach Hause gebracht hatte, breitete die Hausfrau vor der Stalltüre die<br />
Schürze aus und legte eine Holzhacke und zwei Lei darauf, die später dem ersten<br />
Bettler gegeben wurden. Dadurch wurde die Kuh „wirklich“ vor Krankheiten geschützt<br />
und brachte ein lebensfähiges Kalb auf die Welt. Nun ist es ja bekannt, dass in der<br />
Neujahrsnacht die Haustiere reden können und sich gerne miteinander über die im<br />
kommenden Jahr bevorstehenden Ereignisse unterhalten. Der Vedder Franz stellte<br />
sich in der vergangenen Neujahrsnacht auch neugierig vor die Stalltür und wartete<br />
auf Neuigkeiten. Das Kalb musste aber wohl das Sprechen noch nicht gelernt haben,<br />
und die Kuh sprach nicht allein, so dass sich der Vedder Franz umsonst ausfror.<br />
Vielleicht hat er heuer mehr Glück. Sein Nachbar – so behauptet der Vedder Franz -,<br />
der hatte vor fünf Jahren Gelegenheit, eine Zwiesprache zwischen den Tieren in der<br />
Neujahrsnacht zu hören. Er hörte, wie der Schimmel zum Rappen sagte: „In dem<br />
Johr trag mer unsen Herr noch ausn Haus.“ Und wirklich starb er im gleichen Jahr.<br />
Die Pferde zogen den Leichenwagen aus dem Haus, und der Herr lag darauf.<br />
Seither nimmt der Vedder Franz alles herunter, was im Haus, im Stall und auf dem<br />
Boden aufgehängt ist, Pferdegeschirr, Stricke oder Wäsche, damit sich im neuen<br />
Jahr weder Tier noch Mensch aufhängen. Es ist auch angebracht – nach Vedder<br />
Franz – in der Neujahrsnacht eine Sichel in den Querbalken des Stalles zu schlagen,<br />
damit die Druden nachts nicht auf den Pferden, sondern auf der Sichel reiten. Auch<br />
ein „Trutefuss“ auf der Tür schützt gegen die schlimmen „Truten“. Nicht erlaubt ist es<br />
am Neujahrsmorgen die Wäsche zu wechseln oder Nüsse zu essen. Vedder Franz<br />
behauptet, davon kommen Geschwüre auf dem ganzen Leib. Ganz glaubt er ja auch<br />
nicht daran, aber kann man wissen ... sicher ist sicher!<br />
A klaaner Kenich<br />
Die Kinder ziehen von Haus zu Haus, bis sie vor Kälte und Müdigkeit zum Aufgeben<br />
gezwungen wurden. Die ganz kleinen „Winscher“ behaupten:<br />
„Ich bin a klaaner Kenich, gebt mer net so wenich,<br />
lasst mi net so lang stehe, ich will um a Haisl weidergehe.“<br />
Damit betonen sie ihre Würde am Neujahrstag, dass sie rasch und gut belohnt<br />
werden wollen, denn sie müssen bis Mittag noch in viele Häuser einkehren.<br />
Eigentlich vergisst der kleine Seppi in diesem „Spruch“ auf das eigentliche<br />
Wünschen, doch niemand stösst sich daran, der Zweck seines Kommens ist auch so<br />
von vornherein klar. Noch drolliger kann es der Pedi:<br />
„Ich bin e klaaner Bingl un stell mich in en Wingl,<br />
wenn ich nix kann, fang ich nix an.“<br />
Seine Schwester, die kleine Seffele, hat Sinn für Humor. Obwohl sie auch noch<br />
nichts wünschen kann, vergisst sie doch das Wesentliche nicht:<br />
„Ich winsch, ich winsch un was net was,<br />
hinnerm Ofe hockt e Has,<br />
greift in de Sack un gebt mer was.“<br />
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Der kleine Hans „´s Hansele“ sagt:<br />
„Ich bin a klaaner Pfeffekern,<br />
esse un tringe tu ich gern<br />
ich bin net vun do, ich bin net vun dort,<br />
unni Geld geh i net fort.“<br />
Es versteht sich, dass die Schlingel nie abgewiesen werden oder leer ausgehen. Ihre<br />
Sparbüchse erfährt am Neujahrstage bedeutenden Zuwachs, und für den Magen<br />
wird auch gehörig gesorgt.<br />
Die Erwachsenen haben inzwischen auch schon ein Stück „Arbeit“ bewältigt. Oft<br />
schliessen sich die Männer zu Gruppen zusammen und gehen gemeinsam weiter.<br />
Wenn sich zwei Gruppen auf der Strasse begegnen, hört man statt „Guten Tag“ nur<br />
„Mir winschen enk a glickliches Neijohr“ oder „La multi ani“, je nachdem ob es der<br />
Hans oder sein Arbeitskollege und Nachbar, der Ion, ist. Im Haus wird mehr<br />
gewünscht. Zum Spruch gehört:<br />
„E glickliches Neies Johr, lang lewe, Gsundheit,<br />
Friede un Einigkeit ...“<br />
Manche Wünscher setzen nach dieser Einleitung fort:<br />
„De Stall voller Härner, de Bode voller Kärner,<br />
de Keller voller Wei, selln alli dabei luschtich seie.<br />
Mir winschn den Hausherr a paar kummodi Schlappe,<br />
dass er kann in Keller tappe<br />
un tringe dort e Tepfl Wei<br />
un debai recht frehlich seie.<br />
E glickliches neies Johr,<br />
soll bessr seie wie´s aldi wohr!“<br />
Das Hauptgewicht fällt dabei auf die irdischen Dinge: gute Gesundheit, Frieden und<br />
Einigkeit, also Eintracht im Familienleben. Das unterstreicht der Wünscher noch<br />
besonders im folgenden Gespräch. Denn in den meisten Fällen hat er seine guten<br />
Gründe dazu die Hausfrau zur Friedfertigkeit aufzurufen.<br />
Der Hausherr bzw. die Hausfrau dankt für die guten Wünsche und fragt: „Bei was<br />
seider, beim Wei oder beim Schnaps?“ Das ist wichtig, denn mischen sich beide<br />
Getränke im gleichen Magen, so vertragen sie sich schlecht. Die Stimmung steigt<br />
und dann kann man auch den folgenden Spruch hören:<br />
„In engen Garte steht e Baam, do sitzn viel Vegl draa.<br />
Ich waas net, sein´s Stiglitze oder Finge,<br />
wenn der e gude Raki hat, lasst mich tringe!“<br />
Später, wenn der Hans und der Peder zum Wein übergehen, tauschen sie auch ihren<br />
Spruch:<br />
„Ich winsch enk e goldene Tisch,<br />
ummedum gebackeni Fisch,<br />
mittedrin e Gläsel Wei,<br />
no wer mer alli luschtich sein.“<br />
„En Hulli umghängt“<br />
Was liegt nun näher, als dass die Hausfrau die Gäste auch gleich zu Tisch bittet?<br />
Der Andan (Anton!) sagt wohl ab, da seine Ehehälfte zu Hause auch mit dem<br />
gedeckten Tisch auf ihn wartet. Doch bei besonders guten Freunden, wenn gar so<br />
3
schmackhaftes Essen lockt, kann er einmal nicht widerstehen und greift zu.<br />
Gemeinsam geht es wieder weiter. Wenn die Reihe an den Andan kommt, eilt er vor,<br />
um alles für die Gäste vorzubereiten. Was die Frau inzwischen macht, fragt ihr? Na,<br />
sie „trutzt“, da ihr Andan das Mittagessen verspätet hat, und weil ihre ganze<br />
Kochkunst umsonst war. Und dann wird sie energisch. Der Andan war schlimm und<br />
wird bestraft. Wenn die Gäste anlangen, finden sie den würdigen Hausherren<br />
reumütig in einer Ecke auf Kukuruzkörnern knien ...<br />
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen! Nachher wird mal<br />
eine kleine Zwischenbilanz gehalten. Der Michel, der Pauli, der Jakob und der Andan<br />
haben bei den Verwandten und Freunden im „Hannefeld“ begonnen, wünschten<br />
dann im „Neie Dorf“, im „Dorf“ in der „langi Gass“, „auf der Stross“ und in der<br />
„Ardegass“. Jetzt sind sie in der „Frangegass“ und müssen noch alle Gassen bis ins<br />
„Gulibar“ abgehen. Betoniert sind endlich die „Bahnhofsgass“ und die „Frangegass“.<br />
Auf die übrigen passt noch die alte Frage: „Gehscht en Dreck ausmesse?“<br />
Bis zum Abend kommt es auch vor, dass ein paar allzueifrige Wünscher der<br />
Aufforderung „hockt enk, wenn der zu uns kumme seid“ noch oft Folge leisten und<br />
dabei zu tief in die Flasche schauen. Wenn sie sich nun „en Hulli umghängt“ oder „en<br />
Aff im Gnack hocke henn“, dann blieb weiter nichts mehr übrig, als schleunigst<br />
entweder „uffn Fedeball gehe“ oder „in die Bettstadt fahre“.<br />
Der nächste Morgen beginnt mit dem täglichen Gruss „Gun Morge um de Raki“,<br />
und die weiteren Tage des Jahres sind nicht wie der erste. Es wäre doch sonst<br />
langweilig und obendrauf ungesund ...“<br />
Quelle:<br />
Tageszeitung <strong>„Neue</strong> <strong>Banater</strong> <strong>Zeitung“</strong> (Timisoara), <strong>vom</strong> <strong>04.01.1970</strong>, Seite 7<br />
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