30.12.2012 Aufrufe

„Neue Banater Zeitung“ vom 04.01.1970 - Glogowatz

„Neue Banater Zeitung“ vom 04.01.1970 - Glogowatz

„Neue Banater Zeitung“ vom 04.01.1970 - Glogowatz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Ich WINSCH, ich WINSCH<br />

un waas net was<br />

<strong>Glogowatz</strong>er schwäbische Neujahrsbräuche<br />

Von Hans Gehl und Franz Pretz<br />

Wenn es stimmt, dass das ganze Jahr so sein wird, wie der erste Tag, so wird es ein<br />

langes und arbeitsreiches Jahr sein, denn der Neujahrstag beginnt in <strong>Glogowatz</strong> mit<br />

dem zwölften Glockenschlage und ´s Winsche dauert bis tief in die nächste Nacht.<br />

Manchmal wird es auch noch am zweiten Tag im neuen Jahr fortgesetzt.<br />

Musik geht winsche<br />

Schon um Mitternacht begrüsst die Blasmusikkapelle das Neue Jahr mit dem<br />

althergebrachten, einfachen aber ehrlich empfundenen und gut gemeinten Lied:<br />

„Ein glückseliges Neues Jahr<br />

wünschen wir aus Herzensgrund<br />

und derer noch viel unzählbare,<br />

soviel man nur wünschen kann!“<br />

Mit diesem schönen Wunschlied machen die Musikanten die Runde zu allen<br />

Vertretern des öffentlichen Dorflebens und werden überall gern empfangen und mit<br />

einem guten Tropfen bewirtet. Der Kapellmeister sagt manchmal auch noch den<br />

folgenden Neujahrswunsch:<br />

„Mir winschen enk e glickliches Johr,<br />

e bessres wie des aldi wor.<br />

Vun Herze winsch mer enk des an,<br />

so viel wie dass mer winschen kann.<br />

Mir winschen enk viel Glick un Sunneschei<br />

Un aa Keller voll mit Wei !“<br />

Die Stärkung erweist sich als notwendig, denn gewöhnlich beisst der Frost ganz<br />

tüchtig, und es dauert noch lange, bis sie an diesem Tag zur Ruhe kommen.<br />

Recht früh beginnt der erste Tag im neuen Jahr auch für die Familienväter – falls<br />

sie sich in der Jahreswendenacht überhaupt zur Ruhe gelegt haben. Ihnen kommt<br />

die Ehrenpflicht zu, allen Nachbarn, Verwandten und bekannten viel Glück im neuen<br />

Jahr zu wünschen. Frauen dürfen hier nicht den Anfang machen, die könnten das<br />

Glück vertreiben. Während die Männer sich auf den Weg machen – auf ihrer Liste<br />

stehen oft 50-70 Adressen, von denen ja keine ausgelassen werden darf – schauen<br />

wir mal, was in den Wohnzimmern geschieht.<br />

Die meisten Kleinen sind um Mitternacht <strong>vom</strong> Tisch „ins neii Johr ghopft“ – mit<br />

dem rechten Fuss vor, denn das gehört auch zum Glückhaben – und schlafen, bis<br />

auch an sie die Reihe fürs „Winschegehn“ kommt.<br />

Der Hahn auf dem Mist<br />

Manche Erwachsene nehmen in der geheimnisumwitterten Nacht der<br />

Jahreswende die einmalige Gelegenheit wahr um wertvollen Aufschluss über die<br />

Zukunft zu erlangen. So haben wir mal die originelle Zwiebelprobe erlebt. Der Vedder<br />

Franz legt zwölf Zwiebelschalen auf zwölf Weinfässer (im „Notfall“ dürfen sie auch<br />

auf einem Fass liegen) und streute Salz darauf. Die Zwiebelschalen versinnbildlichen<br />

die zwölf Monate des Jahres. Je nachdem wieviel Feuchtigkeit die Zwiebelschalen<br />

„anziehen“ wird es in dem betreffenden Monat mehr oder weniger regnen. (Manche


Leute nennen diese geheimnisvolle Prozedur „´s Kullennrmache“). Wenn dann später<br />

die Rechnung auch nicht ganz aufgeht, bleibt immer noch der Trost, dass auch die<br />

<strong>vom</strong> Meteorologischen Institut manchmal danebenhauen. Nicht umsonst heisst es:<br />

Kräht der Hahn auf dem Mist,<br />

ändert sich´s Wetter oder´s bleibt wie es ist.<br />

Doch zurück zur Zukunft. Einmal hatte der Vedder Franz eine schöne Kuh gekauft.<br />

Wie er sie nach Hause gebracht hatte, breitete die Hausfrau vor der Stalltüre die<br />

Schürze aus und legte eine Holzhacke und zwei Lei darauf, die später dem ersten<br />

Bettler gegeben wurden. Dadurch wurde die Kuh „wirklich“ vor Krankheiten geschützt<br />

und brachte ein lebensfähiges Kalb auf die Welt. Nun ist es ja bekannt, dass in der<br />

Neujahrsnacht die Haustiere reden können und sich gerne miteinander über die im<br />

kommenden Jahr bevorstehenden Ereignisse unterhalten. Der Vedder Franz stellte<br />

sich in der vergangenen Neujahrsnacht auch neugierig vor die Stalltür und wartete<br />

auf Neuigkeiten. Das Kalb musste aber wohl das Sprechen noch nicht gelernt haben,<br />

und die Kuh sprach nicht allein, so dass sich der Vedder Franz umsonst ausfror.<br />

Vielleicht hat er heuer mehr Glück. Sein Nachbar – so behauptet der Vedder Franz -,<br />

der hatte vor fünf Jahren Gelegenheit, eine Zwiesprache zwischen den Tieren in der<br />

Neujahrsnacht zu hören. Er hörte, wie der Schimmel zum Rappen sagte: „In dem<br />

Johr trag mer unsen Herr noch ausn Haus.“ Und wirklich starb er im gleichen Jahr.<br />

Die Pferde zogen den Leichenwagen aus dem Haus, und der Herr lag darauf.<br />

Seither nimmt der Vedder Franz alles herunter, was im Haus, im Stall und auf dem<br />

Boden aufgehängt ist, Pferdegeschirr, Stricke oder Wäsche, damit sich im neuen<br />

Jahr weder Tier noch Mensch aufhängen. Es ist auch angebracht – nach Vedder<br />

Franz – in der Neujahrsnacht eine Sichel in den Querbalken des Stalles zu schlagen,<br />

damit die Druden nachts nicht auf den Pferden, sondern auf der Sichel reiten. Auch<br />

ein „Trutefuss“ auf der Tür schützt gegen die schlimmen „Truten“. Nicht erlaubt ist es<br />

am Neujahrsmorgen die Wäsche zu wechseln oder Nüsse zu essen. Vedder Franz<br />

behauptet, davon kommen Geschwüre auf dem ganzen Leib. Ganz glaubt er ja auch<br />

nicht daran, aber kann man wissen ... sicher ist sicher!<br />

A klaaner Kenich<br />

Die Kinder ziehen von Haus zu Haus, bis sie vor Kälte und Müdigkeit zum Aufgeben<br />

gezwungen wurden. Die ganz kleinen „Winscher“ behaupten:<br />

„Ich bin a klaaner Kenich, gebt mer net so wenich,<br />

lasst mi net so lang stehe, ich will um a Haisl weidergehe.“<br />

Damit betonen sie ihre Würde am Neujahrstag, dass sie rasch und gut belohnt<br />

werden wollen, denn sie müssen bis Mittag noch in viele Häuser einkehren.<br />

Eigentlich vergisst der kleine Seppi in diesem „Spruch“ auf das eigentliche<br />

Wünschen, doch niemand stösst sich daran, der Zweck seines Kommens ist auch so<br />

von vornherein klar. Noch drolliger kann es der Pedi:<br />

„Ich bin e klaaner Bingl un stell mich in en Wingl,<br />

wenn ich nix kann, fang ich nix an.“<br />

Seine Schwester, die kleine Seffele, hat Sinn für Humor. Obwohl sie auch noch<br />

nichts wünschen kann, vergisst sie doch das Wesentliche nicht:<br />

„Ich winsch, ich winsch un was net was,<br />

hinnerm Ofe hockt e Has,<br />

greift in de Sack un gebt mer was.“<br />

2


Der kleine Hans „´s Hansele“ sagt:<br />

„Ich bin a klaaner Pfeffekern,<br />

esse un tringe tu ich gern<br />

ich bin net vun do, ich bin net vun dort,<br />

unni Geld geh i net fort.“<br />

Es versteht sich, dass die Schlingel nie abgewiesen werden oder leer ausgehen. Ihre<br />

Sparbüchse erfährt am Neujahrstage bedeutenden Zuwachs, und für den Magen<br />

wird auch gehörig gesorgt.<br />

Die Erwachsenen haben inzwischen auch schon ein Stück „Arbeit“ bewältigt. Oft<br />

schliessen sich die Männer zu Gruppen zusammen und gehen gemeinsam weiter.<br />

Wenn sich zwei Gruppen auf der Strasse begegnen, hört man statt „Guten Tag“ nur<br />

„Mir winschen enk a glickliches Neijohr“ oder „La multi ani“, je nachdem ob es der<br />

Hans oder sein Arbeitskollege und Nachbar, der Ion, ist. Im Haus wird mehr<br />

gewünscht. Zum Spruch gehört:<br />

„E glickliches Neies Johr, lang lewe, Gsundheit,<br />

Friede un Einigkeit ...“<br />

Manche Wünscher setzen nach dieser Einleitung fort:<br />

„De Stall voller Härner, de Bode voller Kärner,<br />

de Keller voller Wei, selln alli dabei luschtich seie.<br />

Mir winschn den Hausherr a paar kummodi Schlappe,<br />

dass er kann in Keller tappe<br />

un tringe dort e Tepfl Wei<br />

un debai recht frehlich seie.<br />

E glickliches neies Johr,<br />

soll bessr seie wie´s aldi wohr!“<br />

Das Hauptgewicht fällt dabei auf die irdischen Dinge: gute Gesundheit, Frieden und<br />

Einigkeit, also Eintracht im Familienleben. Das unterstreicht der Wünscher noch<br />

besonders im folgenden Gespräch. Denn in den meisten Fällen hat er seine guten<br />

Gründe dazu die Hausfrau zur Friedfertigkeit aufzurufen.<br />

Der Hausherr bzw. die Hausfrau dankt für die guten Wünsche und fragt: „Bei was<br />

seider, beim Wei oder beim Schnaps?“ Das ist wichtig, denn mischen sich beide<br />

Getränke im gleichen Magen, so vertragen sie sich schlecht. Die Stimmung steigt<br />

und dann kann man auch den folgenden Spruch hören:<br />

„In engen Garte steht e Baam, do sitzn viel Vegl draa.<br />

Ich waas net, sein´s Stiglitze oder Finge,<br />

wenn der e gude Raki hat, lasst mich tringe!“<br />

Später, wenn der Hans und der Peder zum Wein übergehen, tauschen sie auch ihren<br />

Spruch:<br />

„Ich winsch enk e goldene Tisch,<br />

ummedum gebackeni Fisch,<br />

mittedrin e Gläsel Wei,<br />

no wer mer alli luschtich sein.“<br />

„En Hulli umghängt“<br />

Was liegt nun näher, als dass die Hausfrau die Gäste auch gleich zu Tisch bittet?<br />

Der Andan (Anton!) sagt wohl ab, da seine Ehehälfte zu Hause auch mit dem<br />

gedeckten Tisch auf ihn wartet. Doch bei besonders guten Freunden, wenn gar so<br />

3


schmackhaftes Essen lockt, kann er einmal nicht widerstehen und greift zu.<br />

Gemeinsam geht es wieder weiter. Wenn die Reihe an den Andan kommt, eilt er vor,<br />

um alles für die Gäste vorzubereiten. Was die Frau inzwischen macht, fragt ihr? Na,<br />

sie „trutzt“, da ihr Andan das Mittagessen verspätet hat, und weil ihre ganze<br />

Kochkunst umsonst war. Und dann wird sie energisch. Der Andan war schlimm und<br />

wird bestraft. Wenn die Gäste anlangen, finden sie den würdigen Hausherren<br />

reumütig in einer Ecke auf Kukuruzkörnern knien ...<br />

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen! Nachher wird mal<br />

eine kleine Zwischenbilanz gehalten. Der Michel, der Pauli, der Jakob und der Andan<br />

haben bei den Verwandten und Freunden im „Hannefeld“ begonnen, wünschten<br />

dann im „Neie Dorf“, im „Dorf“ in der „langi Gass“, „auf der Stross“ und in der<br />

„Ardegass“. Jetzt sind sie in der „Frangegass“ und müssen noch alle Gassen bis ins<br />

„Gulibar“ abgehen. Betoniert sind endlich die „Bahnhofsgass“ und die „Frangegass“.<br />

Auf die übrigen passt noch die alte Frage: „Gehscht en Dreck ausmesse?“<br />

Bis zum Abend kommt es auch vor, dass ein paar allzueifrige Wünscher der<br />

Aufforderung „hockt enk, wenn der zu uns kumme seid“ noch oft Folge leisten und<br />

dabei zu tief in die Flasche schauen. Wenn sie sich nun „en Hulli umghängt“ oder „en<br />

Aff im Gnack hocke henn“, dann blieb weiter nichts mehr übrig, als schleunigst<br />

entweder „uffn Fedeball gehe“ oder „in die Bettstadt fahre“.<br />

Der nächste Morgen beginnt mit dem täglichen Gruss „Gun Morge um de Raki“,<br />

und die weiteren Tage des Jahres sind nicht wie der erste. Es wäre doch sonst<br />

langweilig und obendrauf ungesund ...“<br />

Quelle:<br />

Tageszeitung <strong>„Neue</strong> <strong>Banater</strong> <strong>Zeitung“</strong> (Timisoara), <strong>vom</strong> <strong>04.01.1970</strong>, Seite 7<br />

4

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!